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Montag, 30. Mai 2011
Hartz IV real
Immer wieder hören wir, zwei Monate auf Hartz IV sei nicht zu vergleichen mit dem wirklichen Hartz-IV-Leben. Das stimmt natürlich. Das haben wir auch nie behauptet. Es ging einfach darum, unter Realbedingungen einen überprüfbaren Teil des Hartz-IV-Regelsatzes auf seine Stichhaltigkeit zu testen. Dabei ist mir jedoch eingefallen, dass ich jahrelang nicht besser gelebt habe als mit Hartz-IV: nämlich als Student. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, das Geld, das ich damals zur Verfügung hatte, inflationsbereinigt auf heute umzurechnen. Ich habe als Student 1989 in Heidelberg angefangen zu studieren, und von meinen Eltern 800 DM bekommen. In Euro umgerechnet sind das 409,03 Euro monatlich. Davon musste ich meine Wohnung, Heizung, Energie, Essen, Kleidung, Sozialleben, Urlaub, Mobilität (schlicht: alles!) bezahlen. Ein Semesterticket für Studenten gab es damals noch nicht. Inflationsbereinigt sieht das so aus: Umgerechnet auf heute entspricht das einer Summe von 595,60 Euro. Die Miete geht bei Hartz IV extra, ich musste das jedoch aus diesem Topf bezahlen: Sie betrug damals 225 DM (umgerechnet und inflationsbereinigt auf heute: 167,51 Euro - das war günstig, und war entsprechend ausgestattet ;-) ). Inflationsbereinigt (also nach heutiger Kaufkraft) blieben mir damals also 428,09 Euro zum Leben - als Hartz-IVer würden mir heute 361,00 Euro zustehen, wobei ich damals noch die Heizung (Gas) extra zahlen musste (die durchschnittliche Höhe weiß ich leider beim besten Willen nicht mehr), die bei Hartz IV heute nicht mehr abgeht. Auch meine Lernmaterialen (vor allem: akademische Bücher, sehr teuer!) musste ich selbst bezahlen. Man sieht: Für lange Zeit lag mein materieller Lebensstandard ziemlich genau auf Hartz-IV-Niveau. Und trotzdem war das (wenn sicherlich im Rückblick auch leicht verklärt) eine der besten Zeiten in meinem Leben, und schöne Partys haben wir auch gefeiert. Denn, so meine Vorstellung von Hartz IV wie von "armen Studenten": Das Problem des Prekariats ist nicht die mangelnde materielle Ausstattung, sondern die Perspektivlosigkeit. Als Student hatte ich nicht viel mehr Geld - aber viel mehr Perspektive, ich wusste etwas mit einem Leben anzufangen, hatte positive Zukunftsaussichten. Eine gute Arbeitsmarktpolitik ist besser als mehr Transferleistungen - denn einfach mehr Geld löst die Probleme nicht. Und an der reinen materiellen Ausstattung lässt sich in unserer Gesellschaft eine Verletzung der Menschenwürde so nicht mehr ausmachen, um dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden.
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