Das BVerfG-Urteil zu Hartz IV

Das Bundesverfassungsgericht hat Anfang 2010 entschieden, dass die bisherige Berechnung von des Hartz-IV-Regelsatzes verfassungswidrig ist, und dem Gesetzgeber ein knappes Jahr Zeit gegeben, ein verfassungsgemäßes Gesetz zu erlassen (was ihm nicht gelungen ist).

Ausdrücklich hat das höchste deutsche Gericht nicht festgestellt, dass Hartz IV zu niedrig ist – es fordert vielmehr vom Gesetzgeber, mit Hinweis auf die Würde des Menschen (Art. 1 GG) und das Sozialstaatsprinzip (Art. 20, 1, GG), jedem Hilfsbedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zuzusichern, „die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind“.

Dabei geht es dem Gericht ausdrücklich nicht nur um die Sicherung der materiellen Existenz und der gesellschaftlichen Teilhabe an sich - das soll immer auch an den Verhältnissen im Land gemessen werden: „Die zu erbringenden Leistungen“ sind „an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten“. Kurz: Wenn es allen besser geht, soll es auch den Hilfsbedürftigen besser gehen. Dass in den 50er-Jahren selbst hart arbeitende Menschen Steuern zahlen mussten und dennoch weniger zu Essen hatten als Hilfsbedürftige heute und im Winter vielleicht frieren mussten (oder dass das in anderen Ländern bisweile heute noch der Fall ist), darf also heute nicht mehr Maßstab sein.

Aber es gibt auch über dieses Urteil hinaus grundgesetzliche Anforderungen: Auf der anderen Seite greift der Staat nämlich bei der Steuererhebung auch in die Grundrechte seiner Bürger ein (Steuerrecht ist Eingriffsrecht) und muss genauso (auch gegenüber dem Bundesverfassungsgericht) begründen, wie er Steuermittel einsetzt. Ein uferloses Sozialsystem kann daher auch nicht den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechen. Zumal der Staat für eine gleichmäßige, an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu orientierende Besteuerung sicherstellen muss. Dazu gehört auch, niemanden, der leistungsfähig ist, von seiner Verpflichtung zur Leistung zu befreien (wie es ein Sozialsystem hervorrufen würde, das nur unwesentlich weniger finanziellen Spielraum bietet als ein niedriger Lohn - was zum sog. "Lohnabstandsgebot" geführt hat). Man sieht also, dass hier eine sorgfältige Balance gefordert wird (siehe auch: "Hartz IV und Steuern"). Dieses Blog und die dahinterstehende Zwei-Monats-Aktion unserer Familie soll diese wichtige Diskussion beleben.

Und dazu muss ermittelt werden, was man braucht, um in unserer Gesellschaft normal leben zu können. Noch einmal: Verfassungswidrig war nicht die Höhe von Hartz IV, sondern das Berechnungsverfahren: Das höchste deutsche Gericht fordert vom Gesetzgeber, „alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen“. Dazu ist ein monatlicher Festbetrag ausdrücklich geeignet, muss aber durch Leistungen für besonderen, laufenden und nicht nur einmaligen Bedarf ergänzt werden.

Und hier kann man das ganze Urteil nachlesen
(Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09): http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20100209_1bvl000109.html?Suchbegriff=Hartz